Eine Schießerei, eine Verfolgungsjagd und die Erstellung eines Phantombilds – das sind feste Bestandteile, die im Plot von Kriminalfilmen die Polizeiarbeit ausmachen. Doch wie sieht der Alltag derjenigen wirklich aus, die nach Zeugenangaben Bilder komponieren, die immer wieder zur Festnahme gesuchter Täter führen?
Die Erstellung visueller Fahndungshilfen ist in Nordrhein-Westfalen beim Landeskriminalamt angesiedelt. „Insgesamt sind wir im Team zurzeit zu viert “, informiert der 60 Jahre alte Kriminalhauptkommissar Ingo von Westphal. Er wechselte schon 1992 vom Düsseldorfer Polizeipräsidium zum LKA. Nach einer Zwischenstation bei der damaligen Fahndungsgruppe Staatsschutz kam er zur Jahrtausendwende zu den Phantombilderstellern. Dass NRW – anders als andere Bundesländer – die Aufgabe zentralisiert hat, findet er vorteilhaft. „Wir sind voll ausgelastet und sammeln Tag für Tag neue Erfahrungen.“
Geht es auf Tour zu den Zeugen, ist jeder aus dem Quartett mit einem Trolley samt Grafiktablet und Rechner unterwegs. Ein Gefühl für Gesichtsproportionen und zeichnerische Fähigkeiten besitzen sie alle, auch wenn sich die Tätigkeit mit der Digitalisierung verändert hat. „Das hier ist mein Traumjob“, bekennt Hanna Mecke. „Malen und Zeichnen begleiten mich als Hobby schon ein ganzes Leben.“ Die Kriminalhauptkommissarin gehört seit 2020 zum LKA. Vor einem Jahr stieß sie zur Dienststelle im Dezernat 54 (Zentralstelle Kriminaltechnik, Tatortgruppen). Nun könne sie ihr gestalterisches Talent auch für die Arbeit nutzen. Das sei wie ein Sechser im Lotto.
„Ein Anruf von einem Kripo-Sachbearbeiter genügt und wir machen uns bald auf den Weg“, erzählt die Rheinländerin aus der Gegend von Köln. Grundsätzlich kommen alle Straftaten in Betracht, im Einzelfall muss aber priorisiert werden. „Bis vier Tage nach der Tat ist das Erinnerungsvermögen am besten“, wirft Ingo von Westphal ein. Das Ganze sei völlig unkompliziert. Ein Antrag müsse nicht gestellt werden. Auch die Entfernung innerhalb des Landes spiele keine Rolle, egal ob man nun nach Minden, Aachen oder ins Sauerland fahren muss.
Üblicherweise steuert das Team des LKA ein Polizeipräsidium oder eine Kreispolizeibehörde an. Dort entstehe leichter eine konzentrierte Gesprächsatmosphäre als bei Zeugen zu Hause, berichtet Ingo von Westphal. Doch es gebe keine strikte Regel. „Auch Krankenhausbesuche sind an der Tagesordnung. Denn Zeugen sind oft auch die Opfer einer Tat. Direkt nach einer Traumatisierung können Bilder häufig noch abgerufen werden. Viele fallen erst später in ein tiefes Loch. Dann sind die Erinnerungen nicht selten für immer verschüttet.“
Mit den oft etwas naiv geratenen Steckbriefen im Wilden Westen habe die Erstellung von Phantombildern begonnen, blickt der Senior der Truppe kurz zurück in die Geschichte. In Deutschland seien die Suchbilder lange von freiberuflichen Zeichnern für die Ermittlungsbehörden angefertigt worden.
In den 1960er und 1970er Jahren waren jedoch schon Polizisten am Werk. Sie schleppten einen Koffer mit Schablonen und Typenalben mit sich herum. Zeugen wurden Haaransätze, Augenpartien, Ohren, Nasen oder Kopfformen präsentiert, aus denen sich allmählich ein Gesicht zusammensetzte. Schließlich ergänzten die Beamten das Porträt vielleicht noch mit einem Muttermal oder einer Narbe per Hand. Das war dann wie das Tüpfelchen auf dem i.
„Heute haben wir Computer und Photoshop-Programme“, sagt Hanna Mecke. Doch noch immer würden Schwarzweiß-Bilder verwendet. „Die Farben sind schwierig zu definieren und lenken außerdem leicht vom Wesentlichen ab.“ Bei der Öffentlichkeitsfahndung sei es wichtig, dass die Betrachter gleich wissen, dass es sich nur um ein Phantombild handelt. Es unterstütze die Ermittler bei der Suche nach dem unbekannten Tatverdächtigen. „Es ist aber kein Beweismittel.“ Empathie helfe, das Bestmögliche aus den Zeugen herauszuholen, damit die Darstellung wirklichkeitsnah ist, so die 42-Jährige.
„Menschen speichern bei ihren Beobachtungen meist nur bestimmte Details ab, die in der Erinnerung oft überbetont werden“, erläutert Ingo von Westphal. „Die Nase wird noch krummer oder das Gesicht noch runder.“ Recognizer mit phänomenalem fotografischen Gedächtnis seien leider eine Rarität. Mehrere Zeugen hätten ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Kompromisse könnten zwischen ihnen nicht immer gefunden werden. Von Erfolgen erfahren die Phantombildersteller des LKA nur dann, wenn sie von den zuständigen Ermittlungsbeamten informiert werden. Beispielsweise ist das Phantombild von einem Mann erstellt worden, der in aus dem Wachdienst erkannte schließlich die Person wieder, ein DNA-Abgleich führte zur Identifizierung.
Bilder stimulieren das Gedächtnis. Deshalb wurde in NRW ein Pool mit 6.000 Gesichtern angelegt, die so verändert wurden, dass eine Zuordnung zu realen Personen unmöglich ist. Das LKA-Quartett des Dezernats 54 prüft alle Bilder vorher auf ihre Verwendbarkeit. Unterschiedliche Phänotypen können so abgerufen werden, wenn jemand glaubt, er habe einen Mittel-, Süd-, Nord- oder In besonderen Ausnahmefällen unterstützt die Visuelle Fahndungshilfe Behörden bei der Erstellung von Dummy-Bildern für eine Wahllichtbildvorlage. Beim Aging-Verfahren wird versucht, den Alterungsprozess seit Langem verschwundener Personen nachzuvollziehen. „Das ist ziemlich spekulativ“, räumen Hanna Mecke und Ingo von Westphal ein. „Doch auch das ist einen Versuch wert.“