„Ihr braucht hier kein Messer“

Im Hintergrund ist verschwommen ein Abschnitt der Düsseldorfer Altstadt zu sehen. Davor steht ein gelbes Schild mit der Aufschrift "Waffenverbotszone". Auf dem Schild sind Bilder verschiedener Waffen zu sehen, die mit einem Roten X durchgestrichen sind.
„Ihr braucht hier kein Messer“
Was bringen schärfere Waffengesetze und Waffenverbotszonen? Positive Erfahrungen in Nordrhein-Westfalen.
Streife-Redaktion

Ein Abend in Düsseldorf. „Nein, es geht ihm gut!“, beschwichtigt Polizeikommissar Kilian Böing die aufgeregte Frau am Handy. Böing steht auf der Düsseldorfer Rheinpromenade – vor ihm eine Gruppe von Jungs, die gerade betont auf lässig machen – und telefoniert mit der Mutter von Yassim. Der nämlich wurde gerade mit einem Taschenmesser erwischt. Mitten in der Waffenverbotszone. Seit Ende 2021 sind hier Klingen von über 4 Zentimeter Länge tabu und die Polizei kontrolliert mit großem Aufgebot. Eine Reaktion auf die Messerattacken, die in den vergangenen Jahren die Bürgerinnen und Bürger der Stadt verunsichert haben.

Innenminister Herbert Reul hat im August das Lagebild „Gewalt im öffentlichen Raum – Tatmittel Messer in Nordrhein-Westfalen 2019 bis 2023“ präsentiert. Auch ein Bekämpfungskonzept um Messergewalt einzudämmen wurde vorgestellt. In dem Lagebild hat das Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen Messerstraftaten der vergangenen Jahre umfangreich ausgewertet. Dabei standen Täter, Taten, Tatorte und Opfer im Fokus der Untersuchung. Ausgewertet wurden Taten, die sich auf öffentlichen Straßen, in Partyhotspots oder in der Gastronomie ereigneten. Rund 3.500 Taten wurden 2023 mit dem Tatmittel Messer begangen.

Innenminister Herbert Reul: „Erst der Mensch, der es in der Hand hat, macht aus dem Messer eine Waffe. Wir müssen mehr über Täter, Taten und Opfer erfahren, wenn wir diese schrecklichen Messerangriffe verhindern wollen. Die Auswertung sagt uns, dass Messergewalt jung und männlich ist.“

Es ist 20.40 Uhr, die untergehende Sonne taucht das Rheinufer in wärmste Sommertöne. Paare flanieren. Fußballfans ziehen singend durch die Altstadt. Die Stehtische vor den Kneipen sind dicht umringt. Es ist Wochenende. Düsseldorf feiert. Und mittendrin, wohin man sieht: Polizei. Zu Fuß, in Vierergruppen, mit Mannschaftswagen. Zeigt Präsenz. Kontrolliert. Durchsucht Jacken, Hosen- und Umhängetaschen. Stellt Waffen sicher, verwarnt und erteilt Platzverweise. Die Wuppertaler Bereitschaftspolizei-Hundertschaft hat um 19 Uhr mit einem Zug von 38 Leuten ihren Dienst begonnen und sich an den Hauptzugängen der Altstadt positioniert. Die Männer und Frauen kennen ihren Job und wissen, was zu tun ist. Und längst, nach so vielen Einsätzen hier, kennen sie auch ihre Klientel, wissen sie, wen sie besser überprüfen sollten. „Ich stelle eine gewisse Verrohung fest. Durch Social Media oder durch gewaltverherrlichende Musik vielleicht. Und häufig fehlt das Unrechtsbewusstsein“, sagt Zugführer Stefan Helming, ein 42-jähriger Polizeihauptkommissar.

Allein von 2022 bis 2023 hat die Zahl der Messerattacken in NordrheinWestfalen im öffentlichen Raum um 42,6 Prozent zugenommen, von 2.479 auf 3.536 Fälle. Die Täter sind fast ausschließlich Männer, die Hälfte von ihnen unter 21 Jahren und 45 Prozent haben keine deutsche Staatsbürgerschaft. Die Waffenverbotszonen, die daraufhin in Köln und Düsseldorf eingerichtet wurden, zeigten bald erste Erfolge. Allein im ersten Jahr stellte die Polizei bei 17.191 Kontrollen 349 Waffen und Messer sicher. 2023 wurden 40.000 Personen kontrolliert, 500 Platzverweise ausgesprochen und 50 Menschen wegen Tragens von Messern und Waffen in Gewahrsam genommen. Gefunden wurden: Butterflymesser, Dolche sowie Einhand-, Spring- und Taschenmesser, aber auch Teleskopschlagstöcke, Totschläger und Schreckschuss-, Reizstoff- und Signalwaffen.

Innenminister Herbert Reul resümiert: „Sollte sich bislang noch jemand die Frage gestellt haben, ob Waffenverbotszonen einen Beitrag zur Sicherheit unserer Innenstädte leisten, dann ist dieses Arsenal die beeindruckende Antwort.“ In Nordrhein-Westfalen macht die Polizei durchweg gute Erfahrungen mit solchen Zonen und intensiven Kontrollen.

Er ist gerade erst 14 Jahre, der Junge, der da in Jeans, schwarzem T-Shirt und dunklem Blouson am Rande des Burgplatzes steht. Locker umstellt von fünf, sechs Polizisten. Sein Blick ist gesenkt, er wirkt verunsichert und gleichzeitig etwas trotzig. Eben haben die Beamten bei ihm eine sogenannte Anscheinswaffe entdeckt, schräg verstaut im Hosenbund. Die Waffe sieht täuschend echt aus, ist es aber nicht. „Sie ist kaputt, man kann sie nicht öffnen“, erklärt einer der Beamten. „Er sagt, er habe sie zu seinem Schutz mitgenommen!“ Nach einem Telefonat mit den Eltern des Jungen wird er von zwei Polizisten in Richtung Altstadt-Wache geführt. Seine Eltern werden ihn abholen.

Bis zu 10.000 Euro Bußgeld drohen bei einem durch die Polizei festgestellten Verstoß innerhalb der Waffenverbotszone. Zumeist sind es 500 Euro, im Wiederholungsfall und bei schweren Delikten bis zu 10.000 Euro. „Alle sollen sehen: Die Polizei ist präsent, ist aktiv. Je mehr sich das herumspricht, umso besser wirkt die Abschreckung“, sagt denn auch der 33-jährige Tobias Roy, der seit sieben Jahren in der Altstadt-Wache seinen Dienst leistet. Er sehe das nicht nur als Polizist so, sondern auch als Bürger: „Wir gehen doch auch mal privat mit Freunden feiern und wollen uns sicher fühlen!“ An diesem Samstagabend hat er mit seiner Kollegin Nadine Bertlings Dienst, einer 27-jährigen Polizeioberkommissarin. Wie so oft bei diesen Einsätzen werden sie in einer Vierergruppe unterwegs sein. Ausschau halten nach Situationen, die schwierig wirken und Eskalationspotenzial bieten könnten. Nach streitenden Kneipengängern, Zechprellern, aggressiven Junkies, nach Jugendlichen in Gruppen, die das kleine Abenteuer, den Kick suchen.

Es ist wichtig, dass wir zu viert unterwegs sind“, erklärt Nadine Bertlings. „Zwei sprechen die Leute an und agieren, die anderen beiden halten sich im Hintergrund und konzentrieren sich darauf, was währenddessen im Umfeld passiert. Was spielt sich hinter dem Rücken der Kolleginnen und Kollegen ab? Schaukelt sich eine Konfliktsituation womöglich hoch?“ Nicht immer geht es um Probleme, manchmal werden sie einfach nach dem Weg gefragt. Manchmal werden sie gerufen, weil da ein Mensch hilflos ist und ihre Unterstützung braucht. Und manchmal sind die Menschen auch einfach nur dankbar, dass die Polizei vor Ort ist, und möchten den Beamten das sagen. Oft genug sind sie Streitschlichter. Wenn zu viel getrunken wurde, wenn sich zwei wegen einer Nichtigkeit in die Haare bekommen. „Dann greifen wir ein, bevor sich jemand in die Situation reinsteigert. Am Ende sagen wir dann tatsächlich: „Gebt euch jetzt die Hand.“ Viele brauchen das“, sagt Tobias Roy.

Im Erdgeschoss der Altstadt-Wache sitzt Polizeioberkommissarin Carolin Hollenhorst vor einem Bildschirm, der ihr die Bilder und Szenen aus der Altstadt wie auf dem Tablett serviert. 14 Videokameras sind an neuralgischen Punkten installiert. Sie sind so präzise, dass man am Bildschirm sogar die Speisekarten der Lokale lesen kann. Mithilfe der Videobeobachtung lassen sich eskalierende Situationen schneller erkennen und können aus der Wache per Funk Beamte an den Brennpunkt gerufen werden. Überhaupt ist diese Wache darauf fokussiert, das Nachtleben in Düsseldorf sicherer zu machen. So kann von hier aus das Licht auf der Rheinpromenade oder auf dem Burgplatz hochgefahren werden, um das Sicherheitsgefühl der Nachtschwärmer zu verbessern oder neuralgische Punkte so aufzuhellen, dass sie unattraktiv für potenzielle Straftäter werden.

„Wir erhalten Rückmeldungen von Wirten und Bürgerinnen und Bürgern, dass sie sich in der Altstadt durch die Polizeipräsenz wieder sicherer fühlen“, sagt denn auch Ingo Dudenhausen, Referatsleiter im Innenministerium.

Im Innenministerium wird bereits seit einiger Zeit an Konzepten gearbeitet, um das Thema besser in den Griff zu bekommen. Nachgedacht wird unter anderem über ein Intensivtäter-Konzept, das Maßnahmen von niedrigschwelligen Vernehmungen über Führerscheinentzug bis hin zum kompletten Waffenverbot vorsieht. 

Dudenhausen: „Wer aus Syrien oder Afghanistan kommt und schlimme Sachen erlebt hat, dem sollte erklärt werden: Ihr braucht hier kein Messer. Bei uns nicht. Aber natürlich gibt es auch die knallharten Täter, die in und geprüft werden, welche Maßnahmen am besten greifen. Das wollen wir hier aus Düsseldorf nicht vorgeben. Die eine richtige Lösung gegen Messergewalt gibt es nicht. Verschiedene Maßnahmen müssen ineinandergreifen.“

Über die Düsseldorfer Altstadt hat sich an diesem Samstag längst die Nacht gesenkt. Wenn die Außengastronomie schließt, die Flaneure nach Hause gehen, „dann ist das besondere Flair der Altstadt verschwunden“, sagt Stefan Helming, Chef des Einsatzzuges der Wuppertaler Hundertschaft. Um sechs Uhr morgens – wie immer – endet der Dienst der Einheiten. Kehraus nach einer Nacht. Eine ohne größere Zwischenfälle.

In dringenden Fällen: Polizeinotruf 110